Auf alten Erinnerungen thronend: Die Gruppe C bei der WEuro2025 (GER, SWE, DEN, POL)
Der frühere Abo-Champion Deutschland, die ewigen Mitfavoriten Schweden, das einstmals interessante Dänemark und Newcomer Polen: Das ist die Gruppe C bei der Frauen-EM in der Schweiz.
Blüh im Glanze dieses Glückes
Was ist Deutschland? Die clevere Mannschaft, die sich 2022 verdient ins EM-Finale durchgearbeitet hat? Oder doch eher der zerfallende Haufen, der 2023 nach nur einem Punkt gegen Kolumbien und Südkorea in der WM-Gruppenphase ausgeschieden ist? Oder liegt die Wahrheit in der Mitte, wie beim inhaltlich sehr biederen, aber mental widerstandsfähigen Run zu Olympia-Bronze 2024?
Christian Wück ist nun seit knapp einem Jahr im Amt, einige seiner klaren Ideen hat er eisenhart durchgezogen. Darunter etwa seine Überzeugung, dass neben der Linksverteidigerin auch die linke Innenverteidigerin zwingend ein Linksfuß sein muss – auch, wenn Rebecca Knaak, bis Winter in der schwedischen Liga aktiv, und auch Zweier-LV Franzi Kett sonst wohl nicht mal in die Nähe der Start-Elf kommen würden.
Bei anderen Personalien war Wück, der vor zwei Jahren die U-17-Burschen des DFB zum WM-Titel geführt hat, erstaunlich unentschlossen. Wer beispielsweise das Tor hütet, wurde erst sehr spät verkündet, obwohl nach Merle Frohms‘ Rücktritt aus dem Nationalteam stets Ann-Katrin Berger die logische Wahl war, schon alleine deshalb, weil sie immer anspielbar ist und damit essenziell zum Auflösen von Pressingsituationen. Das war gerade in den beiden Spielen zuletzt gegen Österreich ein großes Problem, vor allem in jener Partie, in der Johannes statt Berger auflief. Bei kurzen Pässen ist Berger hingegen eher unsicher.
Der Ausfall von Lena Oberdorf im Mittelfeldzentrum, die nach ihrem Kreuzbandriss vor 12 Monaten nicht rechtzeitig fit geworden ist, wurde durch die Kombination aus der formstarken Beißerin Elisa Senß mit wahlweise Sjoeke Nüsken oder Sydney Lohmann gut ausgeglichen. Mit Freigeist Freigang auf der Zehn gibt es ein stets unberechenbares Element und die Flügelzange mit Jule Brand und vor allem Klara Bühl gehört in Eins-gegen-Eins-Situationen mit zum Besten, was der Weltfußball auf Nationalteam-Ebene hergibt.
So viele Fragezeichen die Defensive betreffen, so sehr ist die Offensive ein Ausrufezeichen – mit der individuellen Qualität und den individuellen Ideen im Spiel nach vorne wird es sehr schwer, Deutschland zu stoppen. Das hat nicht zuletzt das jüngste 4:0 gegen die Niederlande gezeigt.
Du thronst auf Erinnerungen vergangener Tage
Während es Deutschland eher vertikal mag, geht es bei Schweden vor allem um Spielkontrolle via Ballkontrolle. Was die Deutschen und den Schwedinnen gemeinsam haben? Dass sich ihr großer Name vor allem aus der Vergangenheit speist, und aus ihrer Rivalität. Zwei EM-Finals haben sie gegeneinander ausgetragen (1995 und 2001), ein WM-Finale (2003) und ein Olympia-Endspiel (2016), dazu zwei EM-Semifinals (1997, 2013). Alle diese Matches hat Deutschland gewonnen.
Schweden ist fast immer lange bei Turnieren dabei (seit dem Europameister-Titel von 1984 hat man bei acht EM-Turnieren und bei fünf WM-Turnieren mindestens das Halbfinale erreicht, dazu gab es die verdiente Niederlage im Olympia-Finale 2016 und die äußerst unglückliche in jenem von 2021). Aber für den ganz großen Wurf hat es nie mehr gereicht. Und so gut Schweden – immerhin qualifiziert für das Final-Four der Nations League – auch ist: Wahrscheinlich wird es auch diesmal nichts werden.
Dabei ist das alles Jammern auf höchstem Niveau. Gemeinsam mit Spanien und Frankreich ist vermutlich kein EM-Teilnehmer so gut darin, das Spiel mit dem Ball am Fuß zu kontrollieren wie die Schwedinnen. Sie verstehen es exzellent, auch im Angriffsdrittel immer wieder die Passwege zu finden, um den Gegner zu bewegen, mürbe zu machen und müde laufen zu lassen, auch ohne direkt auf den Torabschluss zu gehen.
Stina Blackstenius, Gold-Torschützin für Arsenal im Champions-League-Finale gegen Barcelona, ist ein profilierter Knipser. Kosse Asllani, nach ihrer geräuschvollen Trennung von Real Madrid und dem von vielen Verletzungen geprägten Stint beim AC Milan, hat ein erfolgreiches Jahr beim für die 2. Liga in England unproportional hochklassigen Kader der London City Lionesses hinter sich und steht als dritte Schwedin (nach Seger und Sjögran) vor ihrem 200. Länderspiel, sie hat Routine ohne Ende. Rolfö und Rytting-Kaneryd bringen Dynamik und Tempo von den Flügeln.
Und was spricht nun gegen einen schwedischen Titel? Nun… Das defensive Mittelfeld ist in Abwesenheit von Elin Rubensson (erst eine bakterielle Infektion, dann hartnäckige Rückenprobleme) und der hartnäckigen Formdelle von Hanna Bennison ziemlich luftig unterwegs. Filippa Angeldahl von Real Madrid und Bayern-Wechselspielerin Julia Zigiotti denken beide eher offensiv und haben beide nicht immer den Blick fürs Große Ganze. Hier ist Schweden verwundbar.
Und natürlich auch beim Spielplan – es wartet ein Viertelfinale gegen einen aus dem Trio Frankreich, England oder Niederlande.
So lange sich die Buche im blauen Wasser spiegelt
Obaze wird von Blackstenius düpiert, 0:1 nach 38 Sekunden. Fürchterlicher Fehl-Rückpass von Holmgaard in den Lauf von Rytting-Kaneryd, 0:2 nach vier Minuten. Ungeschickter Ballverlust von Holmgaard und Snerle an der Mittellinie, Konter in die entblößte Abwehr, 0:3 nach zehneinhalb Minuten… Dänemark lieferte beim 1:6 im letzten Nations-League-Spiel in Schweden schon in der Anfangsphase eine Blaupause dafür, wie man es nicht macht. Und gleichzeitig war es nach dem 0:3-Heimdebakel gegen Italien schon die zweite deftige Pleite vor der EM, in der man ja noch dazu, wie schon vor vier Jahren, eine richtig harte Gruppe zugelost bekommen hat.
Vor zehn Jahren war Dänemark eines der taktisch spannendsten Teams Europas. Unter Kenneth Heiner-Møller ging es mit großer inhaltlicher Flexibilität (und trotz einer Harder in Horror-Form) ins Halbfinale, vier Jahre später unter Nils Nielsen mit einer Pendelformation zwischen Dreier- und Vierer-Abwehr sogar ins Endspiel. In der Folge machte Lars Søndergaard aus Dänemark eine funktionale, aber weitgehend flair-befreite Mannschaft am Tropf von Harder und sein Nachfolger Andrée Jeglertz hat nicht viel von der Biederkeit beseitigen können. Auch deshalb wird nach der EM wiederum Jeglertz beseitigt. Der Schwede, der einst Umeå zu Europacup-Siegen geführt hat, fällt weich, er übernimmt Manchester City. Jakob Michelsen, zuletzt bei Norwegens Männer-Erstligist Ham-Kam, wird übernehmen.
Dänemark hat in seiner langen Frauenfußball-Geschichte immer wieder gute Generationen hervor gebracht und jene, die sich nun ihren Platz auf dem Feld zu erkämpfen beginnt – Harvard-Absolventin Hasbo und die mit gutem Auge für den Vorwärtspass ausgestatteten Emma Snerle im Mittelfeld, dazu US-Legionärin Obaze hinten – könnte das auch werden. Aus dem alten Dänemark wird natürlich über kurz oder lang ein Neues, die Hoffnung auf das Morgen ist stets gegeben. Die Gegenwart ist aber sehr durchschnittlich und in vielerlei Hinsicht un-bemerkenswert.
Ja, es gibt den Einser-Schmäh mit der aufrückenden Rechtsverteidigerin (Thøgersen in der defensiveren, Thomsen in der offensiveren Variante), bei der sich hinten eine defensive Dreierkette bildet und vorne (mit eben Thomsen oder Vangsgaard vom Flügel, dann spielt Bruun ganz vorne). Aber am Ende ist eben doch wieder Pernille Harder das Um und Auf. Und ob es wirklich gelingt, dass Harder gegen Deutschland und Schweden vorne mehr gutmacht als hinten daneben geht? Keine Wette mit guten Quoten.
Unter deiner Führung vereinen wir uns mit der Nation
Im Herbst 2023 hat sich Polen mit zwei knappen Siegen an Serbien vorbei in die A-Gruppe der Nations League gepresst – ein großer Erfolg für das historisch recht unbedeutende polnische Team. Dann gab’s in der A-Gruppe einiges an Lehrgeld zu bezahlen, sechs Spiele, sechs Niederlagen gegen Deutschland, Island und Österreich. „Wir messen uns mit Gegnern, die viel reifer sind als wir“, wusste auch Teamchefin Nina Patalon. Ihr Team gewann dabei jedoch selbst ungemein an Reife.
Nach dem problemlosen Weiterkommen gegen ein schwaches rumänisches Team in der ersten Quali-K.o.-Runde spielte Polen in den entscheidenden Playoff-Duellen gegen Österreich nämlich die Stärken extrem cool und beinahe schon routiniert aus. Ja, natürlich kam es Polen entgegen, dass die ÖFB-Frauen mehr mit dem eigenen Versinken im Treibsand beschäftigt waren als mit dem Gegner – aber die Defensive hielt stand und die Konter über Flügelflitzerin Padilla, Relais-Station Kamczyk und die schnelle Star-Stürmerin Ewa Pajor tat, was nötig war.
Diese beiden Spiele im Spätherbst 2024 waren der Durchbruch für Polen und ihre Trainerin, die eine verschworene Einheit darstellen. Im Frühjahr schnitt der EM-Debütant weitgehend problemlos durch seine B-Gruppe, schoss sich für die EM warm: 16 von 18 möglichen Punkten, 16:2 Tore. Und man geht nicht nur mit Selbstvertrauen ins Turnier, sondern auch als lange eingespieltes Kollektiv, im Grunde ist nur die Besetzung der zweiten Flügel-Position offen. Und mit dem Wissen, nichts zu verlieren zu haben: Jeder Punktgewinn wäre wie ein eigener, kleiner EM-Titel. Man geht betont gut gelaunt in das Turnier, weiß um seinen Status und weiß aber auch, dass man jedem Team zumindest sehr unangenehme 90 Minuten bereiten kann.
Polen ist als grundsätzlich defensiv eingestelltes Team zu erwarten, das den Gegner lockt und in den Rücken der aufgerückten Abwehrreihen hinein kontert. Weil diese Gegner aber um die Qualitäten der Weltklasse-Stürmerin Pajor wissen, können diese wiederum nicht alles nach vorne committen, womit sich wiederum Räume für Kamczyk ergeben können – und für die Außenspielerinnen. Für die neue Nummer eins aus Osteuropa ist schon die Teilnahme ein Meilenstein. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Team mit anständiger Grund-Qualität, guter Laune und einer Scheißminix-Einstellung bei einer EM aufzeigt.
Die Spiele der Gruppe C
Freitag, 4. Juli um 18 Uhr in Genf: Schweden - Dänemark
Freitag, 4. Juli um 21 Uhr in St. Gallen: Deutschland - Polen
Dienstag, 8. Juli um 18 Uhr in Basel: Deutschland - Dänemark
Dienstag, 8. Juli um 21 Uhr in Luzern: Schweden - Polen
Samstag, 12. Juli um 21 Uhr in Luzern: Dänemark - Polen
Samstag, 12. Juli um 21 Uhr in Zürich: Deutschland - Schweden