Betet, freie Schweizer, betet: Die Gruppe A der WEuro2025 (SUI, NOR, ISL, FIN)
Der verunsicherte Gastgeber Schweiz, die gefallene Großmacht Norwegen, der ewige Underdog Island und ein Finnland auf dem langen Weg zurück: Das ist die Gruppe A bei der Frauen-EM in der Schweiz.
Betet, freie Schweizer, betet
Martina Voss-Tecklenburg, die im Jahr 2012 das Amt der Nationaltrainerin der Schweiz von Pionierin Béatrice von Siebenthal übernommen hatte, machte die Eidgenossinnen mit einem offensivstarken und physischen, aber zuweilen etwas naiven Fußball zum regelmäßigen Turnier-Teilnehmer. Unter Nils Nielsen wurde zunehmend phantasielos der Bestand verwaltet, bei Inka Grings ging es endgültig nur noch darum, das absolute Minimum nicht zu unterschreiten - und selbst das gelang irgendwann nicht mehr. Und das mit der Aussicht auf eine Heim-EM.
Also holte man sich in der Schweiz letztes Jahr Pia Sundhage, weil da weiß man, was man bekommt. Ja, weiß man, in der Szene. Beim Schweizer Verband wusste man es aber offenbar nicht. Denn die Stimmung ist so richtig im Keller: Was vor zehn, fünfzehn Jahren in den USA und Schweden noch euphemistisch als direkter Zugang in der Menschenführung durchging, ist heute einfach komplett aus der Zeit gefallen - Team und Trainerin sollen menschlich überhaupt nicht kompatibel sein.
Und dann ist dann ja noch die ultra-negative Spielweise. In der abgelaufenen Nations League setzte Sundhage auf eine Fünferkette in der Abwehr und Ballbesitz-Werte an der 25-Prozent-Grenze. Die jungen Talente, die nach Jahren der Dürre nun tatsächlich aus dem Boden schießen - Schertenleib, Vallotto, Beney, Pilgrim, Ivelj - verhungern vorne und sollen das bisschen Offensive mit individuellen Ideen tragen, ohne sichtbare Struktur. In den letzten Spielen musste dann sogar Stürmerin Iman Beney als Rechtsverteidigerin aushelfen.
Sundhage ließ 2013 als schwedische Teamchefin bei deren Heim-EM einen (manchmal etwas zu) direkten Offensiv-Fußball spielen, begeisterte damit das Publikum in einem Land, das eine große Frauenfußball-Tradition hat. Nun, wo es in der Schweiz wirklich etwas anzuschieben gilt, geht man mit einem Fußball der Marke "körperlich anwesend" ins Turnier, ohne jeden Flair, ohne jedes Begeisterungspotenzial, ohne Ambition. Die Bilanz der vier letzten Heimspiele vor dem abschließenden Test-4:1 gegen Tschechien ist ernüchternd - 0:6 gegen Deutschland, 0:0 gegen Island, 0:2 gegen Frankreich, 0:1 gegen Norwegen.
Man könnte also nicht mal behaupten, der Defensiv-Fußball würde funktionieren.
Diese Nacht voll alter Größe bringt uns Träume auf die Welt
Am 18. Juni war es exakt 30 Jahre her, dass Norwegen den größten Erfolg seiner Fußball-Geschichte feiern konnte: Den WM-Titel der Frauen mit einem überzeugenden (und viel zu knappen) 2:0-Finalsieg gegen ein überfordertes deutsches Team. Fünf Jahre später wurden die "Viking Bitches", wie sie ihre damals großen Rivalinnen aus dem US-Lager verächtlich nannten, Olympiasiegerinnen. Seither? Keine Titel mehr. 2005 nochmal im EM-Finale, schon verdient, und 2013 wieder, eher glücklich. Die letzten beiden EM-Turniere endeten sieglos in der Vorrunde.
Aber warum? Norwegen hatte in der Offensive Ada Hegerberg und Caroline Hansen, dazu in den letzten Jahren Guro Reiten und Frida Maanum, wie kann man da so konsequent unterperformen? Nun - die langsame Abwehr brauchte den Schutz des Mittelfeldes, das rückte damit nicht weit genug auf um die Angriffe zu unterstützen, alles wirkte langsam, phantasielos, bleiern. Das ist jetzt unter Gemma Grainger anders: Die Abwehr ist zwar immer noch nicht rasant, aber sie traut sich unter der Engländerin doch aufzurücken.
Wenn nicht gerade (wie in der Nations League) ein Team vom Kaliber Frankreich der Gegner ist, zeigt Norwegen ein durchaus nach vorne orientiertes Spiel. Das brachte in puncto offensiver Output noch nicht so furchtbar viel (nur vier Tore in den sechs Matches im Nations-League-Frühjahr), aber in den vier Partien gegen Island und die Schweiz - die ja nun wieder Gegner sind - gab es acht Punkte, keine Niederlage und nur zwei Gegentore.
Nach Jahren der spielerischen Unzulänglichkeit braucht es Zeit, um verlorengegangenes Selbstverständnis wieder aufzubauen. Nicht zuletzt äußert sogar Guro Reiten die Klage, dass die Erwartungen in Norwegen einfach zu hoch wären. Die alte Größe, der in den Neunzigern und Nullern erarbeitete Status als Frauenfußball-Großmacht, wurde tatsächlich konsequent kleingespielt. Andere haben große Schritte gemacht, Norwegen ist stehen geblieben.
Und doch hat kein norwegisches Team wahrscheinlich seit dem WM-Semifinal-Mannschaft von 2007 so viel Sinn gemacht wie das aktuelle und mit Signe Gaupset steht schon das nächste große Talent in den Startlöchern. Nein, Norwegen wird nicht Europameister und man kann auch nicht darauf bauen, dass sich wieder ein inselbegabtes Durchschnitts-Team wie das von 2013 ins Finale durchlavierten kann. Aber die Basis ist gelegt - und sollte es nach Papierform gehen, wäre angesichts eines möglichen Viertelfinals gegen Italien zumindest der Einzug in die Top-4 kein komplett unrealistisches Szenario.
Ein ewiges Blümchen mit bebender Träne
Die Insel im Nordatlantik hat nur rund 390.000 Einwohner, das ist praktisch die Zahl der Menschen, die in Linz und dem direkten Umland leben - sogar Luxemburg hat fast doppelt so viele. Man hat sich in seinem Image als resoluter Underdog vom Rand der Welt gut eingerichtet, jeder Erfolg wird als kleines Mirakel empfunden oder zumindest so verkauft. Die Realität ist aber: Island ist zum fünften Mal in Folge bei einer Frauen-EM dabei, es ist mittlerweile die dritte Generation hintereinander auf kompetitivem europäischen Niveau.
Beim Debüt 2009 zahlte die Truppe um Katrin Jonsdótir und Guðrún Sóley Gunnarsdóttir noch Lehrgeld. In Schweden 2013 ärgerte Island mit Margrét-Lára Viðarsdóttir, Sara-Björk Gunnarsdóttir und Dagný Brynjarsdóttir in der Gruppe Norwegen und besiegte Holland, kam ins Viertelfinale. 2017 machte man zwei Spiele lang gegen Frankreich und die Schweiz nichts falsch, verlor unglücklich zweimal und war schon raus. Und 2022 blieben Glódis Viggósdóttir und Sveindís Jónsdóttir zwar in ihren drei Spielen ungeschlagen, doch auch das reicht nicht zum Aufstieg.
Also: Island ist längst eine absolut etablierte Kraft, und die Hürde zum Viertelfinal-Einzug ist wahrlich keine unüberwindbare. Der Fokus des Spiels liegt traditionell eher gegen den Ball, dabei gibt sich Island aber durchaus aktiv. Ganz vorne agieren üblicherweise eine gelernte Flügelspielerin (Sveindís Jónsdóttir) und eine offensive Mittelfeldspielerin (Vilhjálmsdóttir), die die Spieleröffnung nach außen lenken - wo die Mittelfeld-Außen die Ballführende geschickt isolieren oder zu einem Risiko-Pass in die Mitte verleiten sollen. Nach Ballgewinn geht's meistens ziemlich zackig vor das Tor.
Thorsteinn Halldórsson hat eine clevere Truppe zusammen, gut aufeinander eingespielt und mit FC-Bayern-Kapitänin Glódis Viggósdóttir steht auch eine der spielstärksten und kopfballstärksten Innenverteidigerinnen Europas in der Abwehr. In der Qualifikation hat man sich verdient vor Österreich durchgesetzt, hat auch Deutschland 3:0 geschlagen und selbst, wenn man seit Monaten kein Match mehr gewonnen hat: Es gab nur gegen Frankreich, die USA und Dänemark Niederlagen und in der Nations League reichten vier Remis zu Platz drei.
Island hat einen ausgeglichen durchschnittlich besetzten Kader mit zwei, drei echten Klassespielerinnen - wie immer. Und man weiß ganz genau, wie man diesen einsetzt, um möglichst schwer zu besiegen zu sein. Wie immer.
Kein Ufer ist uns lieber als diese nördliche Heimat
Während Norwegens größter Erfolg 30 Jahre her ist, blickt Finnland auch schon auf 20 Jahre, die seit dem EM-Halbfinale 2005 ins Land gezogen sind. Laura Kalmari, Anne Mäkinen und Anna-Kaisa Rantanen ließen dann noch 2009 bei der Heim-EM das Viertelfinale folgen, wo man England an diesem schönen, aber doch recht frischen Spätsommertag in Turku vor vollem Haus einen großen Kampf lieferte und knapp 2:3 unterlag.
Die tragenden Säulen auf dem Feld traten nach und nach ab, Erfolgs-Teamchef Mikael Käld ebenso. Unter dem Schweden Andrée Jeglertz war man 2013 schon ziemlich schwach und dann, unter der Schwedin Anna Signeul, sollte es bis 2022 dauern, bis Finnland wieder bei einem Turnier dabei war - und das war so dünn und so kleinmütig vor drei Jahren, dass man sich fragen musste, ob Finnland überhaupt in absehbarer Zeit wieder auf die Füße kommen würde.
Nach Signeul bekam Finnland in der Folge nach 13 Jahren mal wieder einen einheimischen Cheftrainer, Marko Saloranta nämlich, und siehe da: Finnland ist nun wesentlich komfortabler im Ballbesitz, traut sich - vor allem über die Flügel, vor allem mit Linksverteidigerin Katariina Kosola - konsequent nach vorne. Man zeigt sogar, zumindest gegen die Teams aus dem B-Zug der Nations League, phasenweise so etwas wie ein hohes Pressing.
Saloranta profitiert auch davon, dass einige ehrgeizige, junge Spielerinnen aus dem Jugendbereich nachkommen - Kosola eben, aber auch die Siren-Zwillinge Emmi und Oona im Mittelfeld, Stürmerin Sevenius, Innenverteidigerin Tynnilä. Angeleitet von den Routiniers von mäßig- bis mittelguten Klubs aus starken Ligen sowie der unverwüstlichen Linda Sällström hat man erstmals wieder das Gefühl, dass die Helmarit einen nachhaltigeren Aufwärtstrend aufweist.
In der Nations League ist Finnland ein Jojo-Team, wobei zuletzt der Aufstieg in die A-Liga durch ein extra-unglückliches Billard-Eigentor gegen Serbien verspielt worden ist. Zuvor wurde im Frühjahr 2024 trotz des Abstiegs aus dem A-Zug (gegen Italien, Niederlande und Norwegen) eine gute Figur gemacht und im EM-Playoff hat man Schottland ohne Gegentor besiegt.
Viel mehr als "bringt eine EM-Gruppenphase ohne Blamage über die Bühne" geht sich zwar wahrscheinlich nicht aus, aber dieses Turnier ist in dieser nicht allzu toughen Gruppe für Finnland sehr wohl eine gute Standortbestimmung, wo man sich auf dem Weg zurück nun tatsächlich befindet.
Die Spiele der Gruppe A
Mittwoch, 2. Juli, 18 Uhr in Thun: Island - Finnland
Mittwoch, 2. Juli, 21 Uhr in Basel: Schweiz - Norwegen
Sonntag, 6. Juli, 18 Uhr in Sion: Norwegen - Finnland
Sonntag, 6. Juli, 21 Uhr in Bern: Schweiz - Island
Donnerstag, 10. Juli, 21 Uhr in Thun: Norwegen - Island
Donnerstag, 10. Juli, 21 Uhr in Genf: Schweiz - Finnland