Der Tag des Ruhmes ist gekommen? Die Gruppe D bei der WEuro2025 (FRA, ENG, NED, WAL)
Der Noch-Nie-Europameister Frankreich, der Titelverteidiger England, dessen Vorgänger Niederlage und Debütant Wales: Das ist die Gruppe D bei der Frauen-EM in der Schweiz.
Der Tag des Ruhmes ist gekommen
Weitgehend geräusch- und dramafrei wurde das französische Traineramt nach Olympia letztes Jahr von Hervé Renard an seinen langjährigen Assistenten Laurent Bonadei weitergegeben. Er machte sich sogleich daran, die alternde, aber intern recht mächtige Fraktion von Olympique Lyon auszusieben – und zwar erheblich geräuschloser als es die als Drache verschriene Corinne Diace vor ihm angegangen ist. Rekord-Teamspielerin Eugénie Le Sommer jedenfalls, aussortiert. Flügelspielerin Amel Majri, kaum noch mehr als Wechselspielerin. Und Wendie Renard, die Riesin in der Abwehr mit dem gefährlichen Kopfbällen – nicht mal mehr im EM-Kader.
Le Sommer wird angesichts der starken Form von Baltimore und Katoto ohnehin nicht mehr wirklich gebraucht, Majri wurde von Klubkollegin Bacha aus der Stammformation gespielt. Aber der radikale Verzicht auf Renard – so sehr er früher oder später kommen hätte müssen, denn ein technisch sauberer erster Pass war nie die ganz große Stärke der 1,87m großen Bald-35-Jährigen: Die hartnäckige Wadenverletzung von Griedge Mbock-Bathy, die nun eben auch offiziell die Führungsrolle im Abwehrzentrum übernommen hat, darf durchaus für Bauchweh sorgen.
Davon abgesehen gibt es tatsächlich nicht viel, was gegen Frankreich spricht. Das Team spielt unaufgeregter als früher, neigt nicht zur Hektik, kann aber wie kaum eine andere Mannschaft das Tempo blitzartig anziehen und dann wieder herausnehmen. Die Laufwege sind sauber, die Truppe ist – auch weil Bonadei in der Nations League im Frühjahr sehr wenig rotiert hat – gut eingespielt. Frankreich will den Ball am Fuß haben, selbst agieren, dem Spiel den eigenen Stempel aufdrücken.
Der Kader, der sich auf einen großen Block von PSG stützt (auch, weil bei Lyon deutlich mehr Legionärinnen spielen), gibt ein Rating von Frankreich als Turnier-Mitfavorit ohne Zweifel her, zwei Fragezeichen gibt es aber dennoch. Zum einen, dass Frankreich in den letzten drei Jahren unter Renard und Bonadei die Pflichtspiele sehr souverän und oft ohne echten Widerstand gewonnen hat, aber wenn es schwierige Situationen zu überstehen gab – wie gegen Kanada und Brasilien bei Olympia oder dem Nations-League-Finale gegen Spanien – es überhaupt keine Antwort gab.
Und zum anderen, dass es immer noch Frankreich ist. Mit starken Kadern kommen die seit anderthalb Jahrzehnten immer daher, Zählbares ist noch nie dabei herausgekommen. Die französische Hoffnung? Dass es irgendwann eben doch so weit sein muss. So wie bei Spanien 2023.
Auf dass sie lange über uns regieren soll
Titelverteidiger und Vizeweltmeister sind üblicherweise Fixstarter im Kreis der ganz großen Titelkandidaten. Vor allem dann, wenn sie – wie England – die in der Breite stärkste Liga am Kontinent haben, die Spielerinnen aus der ganzen Welt anzieht; wo die Stammkräfte der Lionesses Woche für Woche gefordert sind. Und ja, England hat bei WM- und EM-Endrunden zuletzt vor zwölf Jahren ein Semifinale verpasst.
Verfolgt man die sorgenvollen Diskussionen auf der Insel, könnte man aber glauben, dass man eine Blamage eher erwartet als ein sechstes Semifinale in Folge. Fünf Wochen vor Turnierstart hat die langjähige Stamm-Keeperin Mary Earps ihren Team-Rücktritt bekannt gegeben. Sie ist ine prägende und polarisierende Figur, keine Frage, aber Hannah Hampton hat eine starke Saison für Chelsea gespielt. Fran Kirby ist ebenfalls zurückgetreten, allerdings nachdem sie nicht nominiert worden war. Und Abwehrspielerin Millie Bright – die sich halb verletzt zur WM 2023 einschreiben ließ und deren Knie danach nie mehr ganz heil geworden ist – hat die Waffen gestreckt, fühlte sich nicht zum Spielen der EM in der Lage.
Andererseits ist Georgia Stanway nach überstandener Seitenbandverletzung zurück, sie ist das vertikale Element im Mittelfeld-Zentrum neben der defensiv viel aufräumenden und die generelle Richtung des Aufbauspiels vorgebenden Keira Walsh. Davor ist Ella Toone (schnelle Auffassungsgabe, gutes Auge für den Pass) auf der Zehn die Wunschbesetzung, auch die junge Jess Park kann hier spielen, auf den Flügeln haben zumeist Hemp und James gespielt; vorne ist Alessia Russo von Vizemeister und Europacup-Sieger Arsenal gesetzt.
Und weil Sarina Wiegman zu jenen Trainerinnen gehört, die nicht nur eine klare Anfangs-Elf im Kopf haben, sondern auch eine ziemlich genaue Idee davon, welches Personal zum Schlusspfiff auf dem Feld steht, darf man sich darauf gefasst machen, dass nach einer Stunde Chloe Kelly (für einen der Flügel) und Aggie Beever-Jones (für Russo) kommen werden, dann irgendwann Carter für Charles. Hemp und James werden sich die Minuten auf der linken Seite teilen; Clinton und Stanway werden sich abwechseln, je nachdem wie es Stanways Fitness-Zustand zulässt.
Von der generellen Spielweise hat sich bei England in den letzten Jahren wenig grundlegendes geändert. Man trägt das Spiel gerne selbst nach vorne, versucht die Intensität hochzuhalten. Vor allem Bronze rechts geht viel mit nach vorne und die Lionesses scheuen sich auch nicht, das gegen richtig starke Teams – wie mit Erfolg im Frühjahr auch gegen Spanien – durchzuziehen.
Und worin speist sich nun diese generelle Skepsis in England? Denn das Fehlen von Earps, Kirby und Bright verändert das Team ja nur unwesentlich. Es ist mehr ein Gefühl, das sich aus den sich aus den Ausrutschern speist, welche sich nach dem EM-Titel gehäuft haben. England ist nicht immer überragend, hat aber unter Wiegman zumeist einen Weg gefunden, das nötige Ergebnis zu ziehen. Zweimal setzte es jedoch Nations-League-Niederlagen gegen Belgien (Herbst 2023 und Frühjahr 2025), dann streute man mal ein 1:1 gegen Portugal ein. Und angesichts der harten Gruppe und einem komplizierten Viertelfinale kann ein einzelner mittelguter Tag schon zum Aus führen.
Dem Vaterland getreu bis in den Tod
Die Grenze zwischen flexibel und chaotisch ist schmal. Jene zwischen fluidem und undefinierbarem Positionsspiel auch. Was die Niederlande in den letzten Monaten von Andries Jonkers Amtszeit auf den Platz gebracht haben, ist oft sehr interessant und man muss oft sehr genau aufpassen, was da gerade passiert. Es führt aber auch zu wilden Schwankungen, was Leistungen und Resultate angeht – oder, um es plakativ zu sagen: Ein richtig starkes Spiel, in dem man den Deutschen alles abverlangt und sich ein 2:2 holt, ist jederzeit ebenso möglich wie ein fürchterliches 0:4-Debakel gegen das gleiche deutsche Team, bei dem man am Ende sogar noch gut bedient ist.
Diese Suche nach einer progressiven Lösung nach dem jeweils richtigen Ansatz für ein Team im Umbruch mag man als „typisch holländisch“ bezeichnen. Die letzten verbliebenen Stützen des 2017er-Titels (Spitse, Van de Donk, auch Groenen sowie die in den letzten Jahren viel verletzte Miedema) haben den Zenit ihrer Karrieren hinter sich und es drängt ein Schwung neuer, junger Talente nach – diese beiden Gruppen zu einer funktionierenden Einheit zu schweißen, ist nicht einfach.
Das niederländische Team ist Frühjahr tatsächlich in jedem Spiel mit einem anderen System angetreten – meist mit Dreierkette, aber nicht immer. Mal mit einer Spitze, mal mit zwei. Mal mit zwei Defensiv-Spielerinnen hinter einer Zehnerin, mal mit einem Sechser hinter zwei Achtern. Zumeist ohne echte Flügelstürmerinnen, und wenn, dann rücken sie weit ein, was auch irgendwie nicht alte holländische Schule ist. Und Wieke Kaptein, die 19-jährige Kurblerin im Mittelfeld, die beim englischen Liga-Dominator Chelsea eine erstaunlich gute Rolle gespielt hat, wirkt zuweilen der komplette Freigeist. An guten Tagen macht sie die Gegner damit wahnsinnig, wie zuletzt gegen Österreich. An schlechten sorgt es vor allem beim eigenen Team für Löcher.
Sich einfach nur hinten reinzustellen, ist nicht die niederländische Komfortzone, das hat sich mit der neuen Generation nicht geändert. Man will agieren, nach vorne Spielen. Die Personalreserve ist aber nicht annähernd so tief wie bei anderen Nationen. Da ist Jonker eben der Meinung, dass diese sehr match-spezifische Raumaufteilung seinem Team in der aktuellen Verfassung die besten Chancen gibt. Grundsätzlich gehören die Oranje Leeuwinnen auch ziemlich sicher immer noch zu den acht besten Teams Europas. Angesichts dieser Gruppe sieht ein Vorrunden-Aus aber dennoch wesentlich wahrscheinlicher aus als ein Semifinal-Einzug
Ihre tapferen Krieger, großartige Patrioten
Als es um die Teilnahme für die EM vor drei Jahren ging, wurde Wales von Nordirland und der Auswärtstor-Regel (0:0 in Belfast, 2:2 daheim in Newport) ausgebremst. Nun hielt sich Wales im Playoff gegen Irland schadlos, presste sich mit einem Kraftakt (1:1 daheim und 2:1 auswärts) an den Irinnen vorbei. Jess Fishlock, die große schillernde Figur des walisischen Frauenfußballs, darf auf ihre alten Tage also doch noch mit ihrem Land auf der großen Bühne auftreten. Auch wenn die 38-Jährige, seit einem Jahrzehnt grundsätzlich bei Seattle Reign in der NWSL beheimatet, nicht mehr ganz die tragende Rolle spielt.
Natürlich, von Potenzial und Qualität fällt Wales nicht nur innerhalb dieser extrem harten Gruppe deutlich ab, sondern sehr wahrscheinlich auch, wenn man das komplette Starterfeld betrachtet – zumal Sophie Ingle, routinierte Defensiv-Allrounderin von Chelsea, mit einem letztes Jahr erlittenen Kreuzbandriss ausfällt. Torhüterin Olivia Clark hat seit ihrem Winter-Wechsel von Holland nach England keine einzige Liga-Spielminute in den Beinen, Josie Green und Lily Woodham sind mit Crystal Palace krachend abgestiegen, Rhiannon Roberts wurde bei Betis in Spanien ebenso Letzte. Ella Powell ist nicht mal bei Zweitligist Bristol klare Stammspielerin, das ist auch Hayley Ladd für Everton nicht gewesen.
Die Herangehensweise ist recht simpel: Hinten verteidigt sich Wales in einer Fünferkette um Gemma Evans von Liverpool, abgeschirmt von den beiden erfahrenen Sechsern Ladd und James-Turner. Nach vorne geht es vornehmlich über schnelle Gegenstöße über die Flügel – Ceri Holland von Liverpool und die talentierte Schweden-Legionärin Carrie Jones vor allem, hier käme auch Fishlock ins Spiel – und Hannah Cain von Leicester oder Elise Hughes von Crystal Palace, beide nicht mega-torgefährlich, sollen verwerten.
Der größte Erfolg für Wales ist die bloße Teilnahme. Programmiert sind drei Niederlagen, womöglich deutliche, und das rasche Ausscheiden. Das ist aber zweitrangig – das Team hat auf der Halbinsel durchaus eine kleine Euphorie ausgelöst, trotz überwiegender Chancenlosigkeit in der A-Gruppe der Nations League kamen im Frühjahr im Schnitt über 6.000 Zuseher zu den drei Heimspielen. Und die walisische Teilnahme ist auch ein Zeichen für den strukturellen Aufschwung in England. Denn elf der 23 Kader-Spielerinnen sind in England geboren und haben von der dortigen Jugendarbeit profitiert.
Die Spiele der Gruppe D
Samstag, 5. Juli um 18 Uhr in Luzern: Niederlande - Wales
Samstag, 5. Juli um 21 Uhr in Zürich: Frankreich - England
Mittwoch, 9. Juli um 18 Uhr in Zürich: England - Niederlande
Mittwoch, 9. Juli um 21 Uhr in St. Gallen: Frankreich - Wales
Sonntag, 13. Juli um 21 Uhr in St. Gallen: England - Wales
Sonntag, 13. Juli um 21 Uhr in Basel: Niederlande - Frankreich