Österreich 1, Island 1: Des Gegners Spiel aufgedrückt bekommen
Nein, die Entscheidung auf Hand-Elfmeter für Island war nicht leicht zu verdauen. Aber nein, ein Sieg für die ÖFB-Frauen gegen Island wäre auch nicht verdient gewesen.
Österreich lag im EM-Qualispiel in Ried lange vorne, doch waren die Gäste aus dem Nordatlantik dem Sieg näher. Dass das kein Glanztag war, stritt im rot-weiß-roten Lager niemand ab. Dafür regierte ein beinahe schon mantra-artiges Sich-Selbst-Gut-Zureden. Tenor: Wir gewinnen jetzt halt in Reykjavík und unter Druck sind wir sowieso stark. Ist es wirklich so einfach?
Ansichtssache
Ein gewonnener Punkt für Island oder zwei verlorene, Glódis Viggósdóttir? Die isländische Kapitänin überlegte kurz, sagte dann: „Kann man so oder so sehen…“ Auch Stürmerin Sveindís Jónsdóttir war im wigel-wogel, wie man in Österreich sagen würde. „Wir hätten mehr Tore schießen müssen“, meinte die Wolfsburg-Legionärin, „aber 1:1 auswärts ist jetzt auch kein furchtbares Ergebnis…“
Nimmt man die Körpersprache der Spielerinnen beider Lager zum Maßstab, konnte Island – obwohl Manuela Zinsberger in der 93. Minute noch einen gefährlichen Schuss pariert hatte – besser mit dem 1:1 leben. „Wenn man die zweite Halbzeit betrachtet, geht das Resultat in Ordnung“, so Sarah Zadrazil. Nachsatz: „Aber fußballerisch, von der Spielanlage, sind wir die bessere Mannschaft.“
Österreich gegen Jónsdóttir
Zeigen konnten sie es aber nicht, weil Island es geschickt gemacht hat. Im 4-4-1-1 spielte Sveindís Jónsdóttir, die pfeilschnelle gelernte Flügelspielerin vom VfL Wolfsburg, ganz vorne und Karolina-Lea Vilhjálmsdóttir, letzte Saison bei Bayer Leverkusen aufgeblüht, hinter ihr. Sie waren die beiden entscheidenden Figuren bei Island.
Jónsdóttir orientierte sich ganz vorne auf die Seite von Gini Kirchberger, was logisch ist, weil Georgieva die schnellere aus dem IV-Duo ist. Jónsdóttir galt ein besonderer Fokus, Österreich war extrem darauf bedacht, sie nicht Tempo aufnehmen zu lassen. „Das macht’s halt notwendig, dass die Abwehrlinie weiter hinten steht“, erklärte Manuela Zinsberger. So entstanden Räume zwischen Abwehr und Mittelfeld.
Das war jetzt gegen den Ball gar nicht so das große Problem, weil man dadurch, dass man Jónsdóttir permanent auf Höhe der Abseitslinie halten konnte, sie so gut im Griff hatte, wie man sie halt im Griff haben kann – am Ende der ersten Hälfte ist sie mal durchgebrochen, ein ganzes Spiel lang ist das halt wie bei Pajor auch nicht zu verhindern.
Island gegen den Aufbau
Sehr wohl aber wurde das im Aufbau problematisch, weil Vilhjálmsdóttir hier ihre Rolle nahezu in Perfektion ausführte. Sie verschob viel horizontal und stellte Georgieva und Hanshaw die Passwege für die kurze Spieleröffnung ins Zentrum auf Zadazil und Puntigam zu.
Die ballnahe isländische Außenspielerin presste die Österreicherin am Ball an, Vilhjalmsdóttir macht den kurzen Pass ins DM zu (weißer Kasten), während die ballferne isländische Außenspielerin (roter Kasten) den langen Querpass auf die ballferne österreichische DM (hier Puntigam) sofort stellen konnte. Es blieb für die ÖFB-Frauen entweder die Seitenverlagerung entlang der Abwehrkette (rot verbunden) oder der hastige Steilpass auf die eigene Mittelfeld-Außenspielerin.
Ohne Hektik weitergemacht
Was man Österreich zu Gute halten muss: Es wurde nie die Ruhe verloren. Lilli Purtscheller wurde von Beginn an konsequent gedoppelt, zunächst gelang nicht viel, aber sie ließ sich nicht entmutigen, ging immer wieder in Dribblings und holte so nach 25 Minuten den Elfmeter heraus, den Puntigam zum 1:0 verwandelte.
Aber auch Island hatte seine Rästel zu lösen. „Wir haben erwartet, dass Österreich uns mehr anpresst“, gestand Viggósdóttir nach dem Spiel, „und wir haben eine Zeitlang gebraucht, um zu verstehen, was sie vorhatten.“ Österreich presste nämlich sie, die spielstarke Abwehr-Chefin, die eine grandiose Saison bei Bayern München absolviert hat, überhaupt nicht an. Sehr wohl aber ihre Nebenfrau Ingibjörg Sigurðardóttir, die mit Nürnberg aus der deutschen Liga abgestiegen ist. Die Führung und der Umstand, dass Island damit mehr zur Aktion gezwungen war – was Island eigentlich nicht liegt – brachten Österreich eine gewisse Spielkontrolle.
Island adaptiert
Viel von der Kontrolle war zu Beginn der zweiten Hälfte aber nicht übrig. Island presste nun auch direkt die Spieleröffnung an, anstatt sie nur lenken und den Passempfänger zu nehmen. So entstand bis zur 60. Minute eine zunehmende Hektik bei den ÖFB-Frauen. „Wir konnten unser Spiel nicht mehr so aufziehen und wenn wir den Ball hatten, haben wir ihn zu schnell tief gespielt“, erklärt Sarah Puntigam, „und das ist genau, wo uns die Isländerinnen haben wollten.“
Sprich: Island hat Österreich das eigene Spiel aufgedrückt und Österreich fand zunächst kein Mittel. „Wir haben unser Spiel adaptiert und bessere Lösungen gefunden, durch ihr Pressing zu spielen“, bestätigte Viggósdóttir. In den Minuten rund um die Stundenmarke brannte es zuweilen lichterloh im ÖFB-Strafraum, ehe eine Behandlungspause für Manuela Zinsberger den isländischen Schwung wieder bremste. „Wir müssen in Phasen wie diesen den Ball besser in den eigenen Reihen halten, um Zeit zum Durchschnaufen zu bekommen“, so die Arsenal-Torhüterin.
Ballpflückerin Höbinger
In der Folge kam auch Viktoria Pinther – die für das Rammbock-Spiel besser geeignet ist als die schnelle Campbell, deren Tempo man nie eingesetzt bekam – und Österreich bearbeitete die Isländerinnen wieder weiter vorne, Lilli Purtscheller zog ihre Pressing-Routen mit grimmigem Gesicht durch, und die ÖFB-Frauen konnten das Spiel insoweit wieder beruhigen, dass es vor sich hin plätscherte.
Ganz großen Anteil hatte daran vor allem Marie Höbinger. Sie pflückte zweite Bälle fast im Minutentakt für Österreich, sie sicherte hinter der ballführenden Angreiferin ab, zeigte ein ungemeines Gespür für die Situation – obwohl sie in den Tagen vor dem Spiel nicht ganz gesund war. Auch sie konnte aber nicht verhindern, dass Referee Lehtovaara auf den Elferpunkt zeigte, als Georgieva den Ball aus kurzer Distanz an den angelegten Ellbogen bekam. Das hätte wohl nur eine Motorsäge gekonnt.
Glódis Viggósdóttir jedenfalls verwandelte eiskalt zum 1:1. Österreich warf eher in blinder Verzweiflung in der Schlussphase alles nach vorne, mit Hickelsberger und Feiersinger statt der müdegelaufenen Dunst und Höbinger, mit der kopfballstarken Degen statt Puntigam und, sehr erfreulich, mit Laura Wienroither in ihrem ersten Länderspiel-Einsatz seit dem Kreuzbandriss vor 14 Monaten. Es blieb aber dabei: Aus dem Spiel heraus konnte sich Österreich keine einzige echte Torchance erarbeiten.
Mutmachen als Gebot der Stunde
„Wenn wir in Island gewinnen, ist alles im Soll. Wir können mit Druck umgehen, da hab‘ ich vollstes Vertrauen“, sprach Verena Hanshaw. „Unser Anspruch waren drei Punkte, die haben wir heute nicht erreicht, aber auswärts holen wir die auf jeden Fall“, sprach Manuela Zinsberger. „Drei Punkte in Reykjavík sind Pflicht, wollen auf direktem Weg die Quali schaffen. Wenn wir das gewinnen, haben wir den Direktvergleich, und Island ist der entscheidende Gegner“, sprach Sarah Zadrazil. „Wir sind die bessere Mannschaft, müssen das nur zeigen. Jetzt haben wir Druck, aber wir haben in der Vergangenheit bewiesen: Mit dem können wir umgehen“, sprach Marina Georgieva. „Es ist okay, wir sind voll im Soll, und am Dienstag holen wir dann die drei Punkte und dann passt alles“, sprach Sarah Puntigam.
Man merkt schon: Die Worte ähneln sich frappant. Fast wie ein Mantra betonte eine nach der anderen: Druck ist kein Problem, das können wir, wir sind besser, wir holen das Verpasste dann im Auswärtsspiel nach. Auch bei Irene Fuhrmann klang das nicht recht anders, wiewohl sie schon betonte: „Da müssen wir eine andere Leistung bringen als heute. Wir waren absolut nicht am Leistungslimit und die Isländerinnen haben ihre Stärken komplett ausgespielt. Und das geht sich in so einem Duell für uns dann halt einfach nicht aus.“
Deutschland hat – wenn auch erst mit späten Toren – den programmgemäßen 4:1-Sieg über Polen eingefahren, es geht um den zweiten direkten EM-Platz und darum, sich das Playoff im Herbst zu ersparen. Nur durch Sich-Gut-Zureden wird das in Reykjavík aber nicht besser werden als in Ried. „Und auf die drei Punkte waren wir heute auch aus“, brummte Fuhrmann, „es ist ein bedeutsames Spiel, aber nicht gegen Deutschland, wo du nichts zu verlieren hast. Island steht im FIFA-Ranking auch vor uns, aber wir wissen, was wir können, und da erwarten wir mehr von uns selbst.“
Definitiv ist Island der Punktesieger von Ried. Sie haben es geschafft, Österreich zu neutralisieren und Hektik auszulösen. Sie haben es geschafft, nach Rückstand noch das 1:1 zu schaffen, und das auswärts. Sie haben es auch aus dem Spiel heraus geschafft, sich Torchancen zu erarbeiten. Sie sind nach dem Match lächelnd durch die Katakomben der Innviertel-Arena gewandert, die Österreicherinnen mit den langen Gesichtern. „Wenn wir den Ball haben, brauchen wir mehr Kontrolle und sie gar nicht dazu kommen lassen, ihre langen Bälle nach vorne zu hauen“, gibt Kapitänin Puntigam die Marschrichtung vor.
Und am Ende geht es ja auch für Island um viel im Laugardalsvöllur – ein Heimsieg, und das direkte EM-Ticket ist de facto fix. „Wir sind zwei gleich gute Teams, da entscheidet die Tagesform“, kündigt Glódis Viggósdóttir an, die bei den Bayern mit Sarah Zadrazil spielt und sehr genau weiß, welchen Schaden sie bei gegnerischen Teams anrichten kann. Also, Glódis Perla, ist es lustiger mit Zadi zu spielen oder gegen sie? „Mit ihr!“