Start in die EM-Quali gegen Deutschland, Island und Polen
103 Tage, 6 Spiele, 1 angestrebtes EM-Ticket: In Rekordtempo wird ab Freitag die Hauptphase der EM-Qualifikation für die Endrunde 2025 in der Schweiz für die ÖFB-Frauen durchgepeitscht.
Mit dem ersten Heimspiel gegen Deutschland in Linz beginnt sie mit einem öffentlichkeitswirksamen Kracher, wichtiger sind aber wohl die Partien gegen Polen und Island. Die Rechnung ist klar: Der Gruppensieger und der Zweite fahren direkt zur EM in die Schweiz 2025, die anderen beiden müssen in zwei Playoff-Runden im Herbst.
Da die Quali de facto als zweiter Nations-League-Durchgang nach jenem im Herbst gespielt wird, fallen Matches gegen heillos unterlegene Länder – wie in der letzten WM-Quali gegen Lettland oder Luxemburg – weg. „Mit dem zweiten Platz im Herbst haben wir uns eine gute Ausgangsposition geschaffen, mit der es möglich ist, sich direkt zu qualifizieren“, peilt Teamchefin Irene Fuhrmann selbstverständlich die dritte EM-Teilnahme in Folge an, und zwar in möglichst dem Minimum an dafür benötigten Spielen.
Hoffnungsvolles Österreich
Die kurzfristigen Ausfälle von Sarah Zadrazil (Muskelfaserriss) und Katharina Naschenweng (Knieverletzung) schmerzen. Das Duo von Bayern München fällt, ausgerechnet, für das Deutschland-Spiel aus. Dennoch sieht man sich im österreichischen Lager gerüstet und Platz zwei vor Island und Polen ist das erklärte Ziel.
Die Basis dafür wurde im Herbst mit dem zweiten Nations-League-Platz vor Norwegen gelegt. Zum einen, weil man damit die Chance auf einen machbaren Gegner neben dem Gruppenkopf größer war (es wurde Island, auch möglich waren Belgien, Norwegen und Schweden). Zum anderen, weil bei den Erfolgen Teile einer neuen Generation in tragende Rollen hinein wuchsen: Marina Georgieva (die bei der Fiorentina aufblüht) und Celina Degen (22) etablierten sich als Innenverteidigung, Eileen Campbell (23) als Sturmspitze und Lilli Purtscheller (20) hat sich den Platz auf der rechten Seite gekrallt.
Von der Formation her wurde das zuvor übliche 4-3-3 von einem 4-4-1-1 abgelöst, Marie Höbinger – die bei Liverpool in der WSL eine gute Rolle spielt – agiert als Hybrid aus Zehn und hängender Spitze. Statt Zadrazil – die erstmals seit 2017 ein Pflichtspiel verpasst – bietet sich etwa Annabel Schasching an. Sie (oder Lisa Kolb bzw. Laura Wienroither) wäre die erste Oberösterreicherin bei einem Länderspiel in Oberösterreich seit Nina Aigner vor 17 Jahren.
Größtes Problem war im letzten halben Jahr die verletzungsbedingte Abwesenheit von Laura Wienroither. Es brauchte einige Spiele, um mit der veränderten Statik umzugehen, die sich ohne die quirlige Arsenal-Legionärin ergab. Kathi Naschenweng, eigentlich klar auf der linken Seite daheim, und Routinier Kathi Schiechtl wurden die Alternativen der Wahl. Vor allem Schiechtl, 31 Jahre alt und seit 2022 zurück in der österreichischen Liga, beeindruckte die Teamchefin: „Sie ist verlässlich, spielt ihr Spiel staubtrocken, ist unglaublich routiniert“ – und bei der Wiener Austria die absolute Chefin auf dem Platz, die aus der Innenverteidigung alles dirigiert. Diese verantwortungsvolle, zentrale Rolle in ihrem Verein macht der Tirolerin sichtlich Spaß.
Wienroither ist am vergangenen Wochenende bei Arsenals 1:0-Sieg im Ligacup-Finale gegen Chelsea knapp ein Jahr nach ihrem Kreuzbandriss wieder im Kader gewesen, war auch bei einem Spiel der Arsenal-Academy schon im Einsatz. Eigentlich wäre sie noch nicht nominiert gewesen, Naschenwengs Verletzung machte ihre Anreise doch nötig. „Dass Laura da ist, freut uns alle, weil sie mit ihrer sonnigen, positiven Persönlichkeit auch dann wichtig für die Truppe ist, wenn sie nicht spielt“, wie Annabel Schasching sagt.
Beim Februar-Lehrgang wurden einige Sachen ausprobiert, was Anlaufwinkel und Absicherung der Pressing-Wellen angeht, beim 2:7 gegen England ging das verheerend schief, man rehabilitierte sich mit einem glücklichen 1:1 gegen Dänemark. Im ÖFB-Lager werden sie ihre Lehren daraus gezogen haben, damit es nicht wieder ein böses Erwachen geben möge.
Schlingerndes Deutschland
Der deutsche Frauenfußball früher? In den 1990ern in Europa führend, in den 2000ern weltweit, ein Powerhouse, fast unschlagbar. Zweimal Weltmeister und Dauer-Europameister, auch auf Vereinsebene gab es kaum ein Vorbeikommen. Sechsmal stellte Deutschland von der Premiere 2001/02 bis zum Jahr 2010 den Europacup-Sieger, zwei weitere Male den unterlegenen Finalisten.
Der deutsche Frauenfußball heute? Seit acht Jahren kein internationaler Titel des Nationalteams, 2023 das peinliche WM-Vorrunden-Aus. In einer Nations-League-Gruppe ohne ernsthaften Gegner nur mit isländischer Schützenhilfe Gruppensieger geworden und damit letztlich gerade noch so ein Olympia-Ticket ergattert. Ein Nationalteam auf der Suche nach Identität – und in der 23. Auflage der Frauen-Champions-League ist erstmals sogar schon im Viertelfinale kein deutscher Verein mehr übrig. Der letzte deutsche Titel in diesem Bewerb ist neun Jahre her.
Deutschland, ein sturmreif geschossener Schein-Riese? ÖFB-Teamchefin Irene Fuhrmann verneint das vehement. „Sie haben gegen alle Unkenrufe die Olympia-Teilnahme gesichert, haben dem extremen Druck standgehalten. Jetzt in der EM-Quali können sie daher relativ frei aufspielen!“ Denn das EM-Ticket wird höchstwahrscheinlich Formsache sein, die Chemie mit Interims-Teamchef Horst Hrubesch ist im Gegensatz zu Vorgängerin Martina Voss-Tecklenburg exzellent, sein Nachfolger steht mit Christian Wück schon fest. Der Coach, der die deutschen U-17-Burschen letztes Jahr zum WM-Titel geführt hat, übernimmt nach Olympia. Nia Künzer, politisch wie sportlich und medial bestens vernetzt, demonstriert als neue Frauenfußball-Direktorin im DFB Handlungsfähigkeit und Besonnenheit.
Dennoch ist sie mit einer unübersichtlichen Gemengelage konfrontiert. Hrubesch sprang zum zweiten Mal beim DFB ein, um in einer vertrackten Lage die Kohlen aus dem Feuer zu holen, was ihm wie schon 2018 gelang. Allerdings: Statt nach der unter Voss-Tecklenburg katastrophal verbockten WM eine mittelfristig tragfähige neue Spielidee zu entwickeln und das passende Personal dafür zu rekrutieren, war Hrubesch‘ Mission, Gesichtswahrung zu betreiben. Da dies in Form der Olympia-Quali gelungen ist und er das Turnier noch coachen wird, darf/muss er nun auch noch die EM-Quali leiten. Geht es dort nun um die Vorbereitung auf ein Olympia-Turnier mit der Möglichkeit zur WM-Revanche oder werden die sechs Matches – in Abstimmung mit Wück? – nun doch schon eher in Blickrichtung EM zum experimentieren genützt?
Der DFB hat immer noch eine in der in der Breite drei besten europäischen Ligen, aber von Qualität, Strukturen, Vermarktung und finanziellem Einsatz wurde ihre Spitze von Klubs wie Lyon, Barcelona und Chelsea überholt. Das alles ist aus österreichischem Blickwinkel Jammern auf hohem Niveau: Deutschland ist selbstverständlich klar über Österreich zu stellen und in den bisherigen drei Duellen gab es ebenso viele Siege für den DFB. Zweimal forderten die ÖFB-Frauen die großen Nachbarn (beim 2:4 in Regensburg 2016 und beim 0:2 im EM-Viertelfinale 2022), einmal musste man froh sein, nicht in ein schlimmes Debakel gelaufen zu sein. Das war 2018 beim 1:3 in Essen, als Deutschland ein halbes Dutzend Hundertprozentige ausgelassen hat. DFB-Coach damals: Horst Hrubesch.
Einschätzung: Deutschland ist keine unschlagbare Weltmacht mehr. Dennoch wäre für Österreich jeder Punkt in diesen beiden Spielen eine Überraschung.
Unangenehmes Island
Serbien musste in der Relegation im Februar nach Island. Bei eiskaltem Wind und zuweilen beißenden Regen schlugen sich die Serbinnen gut, ging nach dem Heim-1:1 im Hinspiel früh in Führung, verlor aber kurz vor Schluss doch noch 1:2. Österreich muss Anfang Juni nach Reykjavík, grausliches Polarkreis-Winterwetter erwartet die ÖFB-Frauen bei ihrem ersten Antreten auf der Atlantik-Insel also nicht. Ein Spaß sind Matches gegen Island aber auch bei angenehmem Wetter im Normalfall nicht.
Das Team aus dem 400.000-Einwohner-Land (das ist ungefähr so viel wie Vorarlberg) verfügt über eine Handvoll wirklich starker Spielerinnen. So wie Bayern-Kapitänin Glódis-Perla Viggósdóttir, die in der Abwehr abräumt und einen guten ersten Pass spielen kann. Wie Sveindís Jónsdóttir, hochaufgeschossene und hochveranlagte Flügelspielerin vom VfL Wolfsburg. So wie Alexandra Jóhannsdóttir, die sich bei der Fiorentina festgespielt hat und Karólina-Lea Vilhjálmsdóttir, die sich bei Bayern nicht durchsetzen konnte, bei Mittelständler Leverkusen aber ihren Wert zeigt. Wie bei Österreich ist der Spielerinnen-Pool aber klein, noch kleiner als bei Rot-Weiß-Rot, und das Gefälle der individuellen Qualität ist schon in der ersten Elf sichtbar.
Und wie Österreich versucht Island dieses Manko mit Cleverness auszugleichen. Die Positionierungen sind fluid, es wird ein robustes Forechecking gespielt. Nach Ballgewinn geht es rasch und direkt nach vorne. So soll kaschiert werden, dass Island spielerisch sehr limitiert ist. Was Teamchef Thorsteinn Halldórsson fehlt, sind höheren Ansprüchen genügende Sturmspitzen und Torhüterinnen; die Abwehr rund um Viggósdóttir ist kaum mehr als Durchschnitt.
Das Duell Österreich-Island gab es bisher zweimal. Im letzten Gruppenspiel der EM 2017 kamen die ÖFB-Frauen zu einem überzeugenden 3:0-Sieg, es war eine der besten Partien, die sie jemals auf den Rasen gebracht haben. Im vergangenen Sommer testete ein ersatzgeschwächtes ÖFB-Team quasi direkt aus dem Sommerurlaub gegen Island, man war gleich gut, verlor durch einen Treffer in der Nachspielzeit.
Davon abgesehen haben österreichische Teams zuletzt gegen isländische gut ausgesehen: Die U-20 verpasste Island im WM-Playoff eine krachende 6:0-Ohrfeige, St. Pölten eliminierte in der Champions-League-Qualifikation Valur Reykjavík dank eines 4:0-Auswärtserfolges. So leicht wird sich das durchaus international erfahrene A-Nationalteam aus Island eher nicht abkochen lassen: Man ist absolut stressresistent, wirft nie die Nerven weg, weiß um seine Stärken und gefällt sich in der Rolle des Underdogs. Obwohl es bereits die fünfte EM-Teilnahme in Folge ist, die Island anpeilt.
Einschätzung: Ein Duell auf Augenhöhe, die Kräfteverhältnisse sind vermutlich ähnlich wie im Herbst gegen Portugal, als die ÖFB-Frauen zu zwei sehr hart erkämpften Siegen kamen. Zumindest einen Sieg wird Österreich brauchen, vier Punkte wären super, sechs ein Traum.
Aufstrebendes Polen
Sein Team habe in der ersten Halbzeit jeglichen Kampfgeist vermissen lassen, maulte Trainer Jan Stępczak – nach dieser lag Polen schon 0:3 gegen Österreich im Rückstand. Am Ende zerstörte Österreich mit einem 4:2-Sieg in Kutno die letzte rechnerische Hoffnung der polnischen Frauen auf einen Platz im EM-Playoff. Das war das bis heute letzte Pflichtspiel gegen Polen und Irene Fuhrmann war damals noch als Aktive auf dem Platz – wir reden vom 28. Mai 2008, exakt jenem Tag, an dem Josef Hickersberger seinen endgültigen Heim-EM-Kader präsentierte.
Zuletzt kreuzten die ÖFB-Frauen und Polen im Finale des Cyprus Cup vor acht Jahren die Klingen, Österreich gewann damals 2:1, verwertbare direkte Erfahrungswerte gibt es also nicht. Polen ist unter der jungen Teamchefin Nina Patalon im vergangenen Nations-League-Herbst in die Leistungsgruppe A aufgestiegen, indem man seine B-Gruppe gegen Serbien (2:1 und 1:1), die Ukraine (2:1 und 1:0) sowie Griechenland (3:1 und 2:0) gewonnen hat.
Beim ÖFB warnt man naturgemäß vor dem polnischen Team. Es wäre allerdings schon überraschend, wenn Polen – in den letzten fünf Qualifikationen stets Gruppendritter – nicht als Gruppenletzter wieder den Gang in die B-Gruppe antreten müsste. Es gibt fünf Spielerinnen mit A-Liga-Format – Torhüterin Kiedrzynek, Innenverteidigerin Dudek, Sechser Pawollek, Flügelspielerin Kamczyk und natürlich vor allem Sturmspitze Ewa Pajor, die einzige polnische Weltklassespielerin. Pawollek, eingebürgerte ehemalige deutsche Junioren-Teamspielerin, und Dudek fallen jedoch die ganze Qualifikation mit Kreuzbandrissen aus.
Die Abwehr ist nicht besonders gut in der Spieleröffnung, das Mittelfeld ist nicht kreativ und viel mehr spielerische Moves als schnelle Gegenstöße über Kamczyk bzw. auf die schnelle Zielspielerin Pajor wird man in der A-Gruppe kaum anbringen können. Polen ist nicht besonders pressingresistent und brachte gegen Serbien die besseren Resultate ins Trockene, ohne wirklich das bessere Team gewesen zu sein.
Trotzdem muss man natürlich vollkonzentriert an die Sache herangehen: Pajor ist fraglos die beste Stürmerin der ganzen Quali-Gruppe, sie hat extremen Torriecher und ist brutal schnell – in den letzten vier Jahren hatte sie aber auch immer wieder Probleme mit dem linken Knie, fiel phasenweise monatelang aus. Gelingt es, Anspiele auf sie gar nicht erst zuzulassen, kann gegen Polen aber nicht mehr allzu viel schief gehen.
Einschätzung: Österreich ist deutlich besser als Polen, das muss sich auch in den Resultaten widerspiegeln.
Der genaue Modus
Wie werden also die 15 Teilnehmer ermittelt, die mit Gastgeber Schweiz nächstes Jahr bei der EM antreten werden?
Nun, für acht Teams ist die Sachlage wie erwähnt klar: Die Top-2 jeder Gruppe sind fix und ohne Umwege mit dabei. Lustig verspricht die Gruppe A3 zu werden, da ein großer Name diesen Cut auf jeden Fall nicht schafft.
Dahinter wird es kompliziert. In der 1. Playoff-Runde spielen die acht verbleibenden Teams aus den A-Gruppen gegen die acht besten Teams der C-Gruppen; während die Top-6 der B-Gruppen (minus die Schweiz) gegen die nächstbesten sechs Teams der B-Gruppen antreten.
In der 2. Playoff-Runde treten dann die Sieger der ersten Runde gegeneinander an, und zwar mit einer Setzliste. Sprich: Die sieben am besten klassierten Teams werden gegen die sieben schwächeren gelost. Die Sieger aus dieser Phase sind dann auch für die EM qualifiziert. Beide Runden werden in Hin- und Rückspielen ausgespielt.
Konkret kann das beispielsweise bedeuten, dass Österreich – sofern man die Top-2 verpasst – erst gegen etwa Albanien antreten muss, um dann möglicherweise gegen Portugal um ein EM-Ticket zu spielen. Alles machbar und Österreich wäre in allen Duellen zu favorisieren, aber es wäre schon gut, würde man sich diese Ehrenrunde mit (zumindest in der 2. Runde) potenziellen Stolperfallen ersparen.
Gleichzeitig es es auch um Ab- und Aufstieg für die Nations League im Herbst 2025. Die Letzten jeder Gruppe (plus der schlechteste B-Vorletzte), die Gruppensieger auf. Relegations-Duelle, wie zuletzt im Februar, gibt es diesmal nicht.
Eine letzte Entscheidung fällt in den kommenden Tagen auch noch im Bezug auf das Olympia-Turnier, die beiden Final-Duelle in der afrikanischen Qualifikation stehen an. Marokko und Sambia rittern um einen Platz in der Gruppe mit den USA, Deutschland und Australien. Südafrika und Nigeria machen sich untereinander aus, wer in Bordeaux und Nantes gegen Spanien, Japan und Brasilien antreten darf.
Vier bereits für Olympia qualifizierte Teams – USA, Kanada, Japan und Brasilien – testen untereinander beim mittlerweile neunten SheBelieves Cup in Atlanta und Columbus. Australien und Kolumbien messen sich mit dem jüngst erstarkten Team aus Mexiko.